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Eine Reise nach Babel zu den lokalen Sprachen des Monregalese

Eine Reise zu den lokalen Sprachen des Monregalese – Auf dem Foto: „La goj d’esse a Mondvì (Die Freunde in Mondovì zu sein)“. Der Name des Springbrunnens mitten in Mondovì Breo, ein Werk des Bildhauers Sergio Unia, entstammt der Sprache des Monregalese

Monregalese: ein Sprachen-Sammelsurium

Liebe Touristen aus aller Welt, bringt nicht nur Wanderschuhe und Smartphones mit, sondern vor allem offene Ohren! Denn so werdet ihr eine unvergessliche Erfahrung machen. An kaum einem anderen Ort der Welt (ausgenommen vielleicht Papua-Neuguinea) könnt ihr so viele verschiedene Sprachen auf so wenigen Quadratkilometern hören.

Nicht nur Italienisch, sondern auch viele verwandte Sprachen

„Wie?“ fragt ihr euch. „Wir sind wir hier doch in Italien! Spricht man hier nicht Italienisch?“ Doch, natürlich, alle sprechen Italienisch, die jungen Leute fast ausschließlich. Aber es gibt eine Reihe von anderen Sprachen, die man hier hören kann, und sie unterscheiden sich alle sehr voneinander. Jedes Dorf hat sozusagen seine eigene. Herkömmlicherweise werden sie in Italien „Dialekte“ genannt, aber der Begriff täuscht, da es sich nicht um Varianten des Italienischen handelt, sondern um eigenständige Sprachen, die allerdings – wie das Italienische – die gleiche Wurzel haben: Latein.

Viele Sprachen mit nur einer berühmten Wurzel

Glaubt also bitte nicht alles! Wenn euch in einem Tal jemand erzählt: „Oh, hier sprechen wir Keltisch!” oder „Weißt du, dass wir hier Arabisch sprechen?“, dann lacht nur laut heraus. Das ist alles nicht wahr! Alle „Ur“einwohner des Monregalese sprechen romanische Sprachen. Das mögen seltsame Sprachen sein, bei denen man heute den lateinischen Ursprung der verwendeten Wörter nicht mehr erkennen kann, aber dennoch sind es romanische Sprachen. Die einzige Ausnahme ist die neuindoarische Sprache der Sinti.

Piemontesisch und die Piemontesen

Piemontesisch ist eine romanische Sprache. Und da wir hier im Piemont sind, könnte man meinen, dass alle Piemontesisch sprechen. Das ist aber nur bedingt richtig. Die berühmte Sprache, die alle Untertanen des ehemaligen Königreichs Sardinien-Piemont benutzten, um mit den Beamten in Turin zu kommunizieren, also diese Gemeinsprache (die „piemontesische Koine“), kennen nur noch wenige. Paradoxerweise sprechen die Sinti einen vergleichbaren Dialekt, wenn sie nicht ihre eigene neuindoarische Sprache benutzen.

Die Sprachen der Bisalta

Es gibt im Monregalese jedoch noch Ecken, wo ein Dialekt gesprochen wird, der der alten Gemeinsprache ähnelt, wenn auch mit ganz eigenen Merkmalen. Die Dialekte des Pesio-Tals und der Gegend um Peveragno (wie zum Beispiel der Dialekt von Boves) könnte man als „Hoch-Piemontesisch“ einstufen, d.h. eng verwandt mit den Dialekten Cuneos und somit Turins, auch wenn sie besondere Eigenheiten aufweisen, wie die Verneinung gnan oder gnen anstatt wie in Cuneo nen.

Das Monregalese: welch’ seltsame Laute…

Begibt man sich hinab nach Pianfei oder über den Bergrücken ins Ellero-Tal, stösst man bereits auf das vorherrschende Monregalese, welches stark vom Piemontesischen abweicht. Es hat Laute, die andernorts nicht existieren (z.B. ein „r“, das dem englischen oder albanischen „r“ ähnelt und in der Lautsprache mit dem Zeichen „ř“ dargestellt wird), ganz eigene Wörter, eine eigene Art, die Verben zu konjugieren, sowie einen ganz anderen Tonfall. „Milch“, auf Italienisch „latte“, ist im Turiner Dialekt làit, in Cuneo lèit oder lèt und in Mondovì lacc, um nur ein Beispiel zu nennen. Allerdings hat sich der Dialekt der Stadt Mondovì im Lauf des 20. Jahrhunderts dem Italienischen angenähert, daher sagen nun viele lat. Sobald man aber aufs Land fährt (nach Pianfei, Rocca de’ Baldi, Vicoforte usw.), hört man wieder das echte, bäuerliche Monregalese. In der Langa oder in Ceva, nimmt der Dialekt hingegen örtliche Merkmale an, ohne jedoch die monregalesischen Eigenschaften völlig zu verlieren.

In den oberen Tälern des Monregalese wird es noch seltsamer

In den Tälern kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Die unteren Täler haben Dialekte wie das bäuerliche Mondovì oder Ceva oder einen Mix aus beiden. Es gibt bereits mehr „š“ und „ž“, die an das Ligurische erinnern (Zwiebel, it. „cipolla“, wird von siola zu sciola, wobei das „o“ wie ein „u“ gelesen wird). Der Dialekt von Montaldo, international bekannt geworden durch die Gedichte Remigio Bertolinos, klingt noch recht ähnlich wie der von Mondovì. Den Dialekt von Mombasiglio verstehen auch die Leute aus Ceva und Frabosa Sottana, auch wenn er ein bisschen anders klingt, da es viele offene Diphthonge gibt, wie sàiřa statt it. „sera“ (Abend) und štàiře statt it. „stelle“ (Sterne). Aus der monregalesischen und piemontesischen Verneinung nen wird nent, nèint oder nàint.

Das Kyé

Die oberen Täler sind eine Welt für sich. Im oberen Ellero-, Maudagna- und Corsaglia-Tal befindet man sich in einer der interessantesten Klangwelten des Romanischen. In ganz Norditalien sagt man mi, um „ich“ zu sagen. Hier nicht! Hier sagt man kyé. Ansonsten sagt man das nur in Valdieri im Gesso-Tal. Aber dort spricht man Okzitanisch. Wird also auch in unseren Tälern Okzitanisch gesprochen? Gute Frage! Das Kyé – man könnte es auch alpines Monregalese nennen – hat viel mit dem Okzitanischen gemein. Die s-Pluralform des Okzitanischen gibt es hier jedoch nicht, dafür aber jede Menge Diphthonge, z.B. fřòid für „freddo“ (kalt) und štòiře für „stelle“ (Sterne), während das auf Okzitanisch frét und estélas wäre. Daher steht nicht fest, ob es sich hier tatsächlich um Okzitanisch handelt. Ein piemontesischer Dialekt ist es aber auch nicht, oder falls doch, dann jedenfalls ein sehr seltsamer.

Ligurier? Nein. Piemontesen? Auch nicht.

Aus piemontesischer Sicht sind die Dialekte, die man im oberen Casotto- und Mongia-Tal antrifft, ebenfalls seltsam. Die Konsonanten verhalten sich wie im Ligurischen und „latte“ (Milch) heißt gianch und nicht wie andernorts bianch. Aber diese Dialekte (wissenschaftlich Hoch-Monregalese genannt und der Hochsprache der Langa ähnlich) sind noch nicht wirklich ligurisch.

Wo das Piemont bereits nach Meer schmeckt (und nach Buchweizen)

Um das Ligurische zu finden, muss man ins Tanaro-Tal hinauf nach Garessio. Es handelt sich natürlich um ein besonderes Ligurisch, aber aus „bianco“ (weiß) wird gianco (ausgesprochen giancu mit „u“), „andato“ (gegangen) wird zu andàu. Vom Pass Colla di San Bernardo ist das Meer nicht weit und Cerisola, ein Ortsteil von Garessio, blickt praktisch auf Albenga…

Und Ormea? Also, Ormea ist ein Sonderfall. Sicherlich ligurisch, aber wie! Alle Besonderheiten des Dialekts von Ormea aufzuzählen, würde eine Doktorarbeit erfordern. Einige springen jedoch sofort ins Auge bzw. in die Ohren, wie z.B. die Infinitivendungen auf „òa“: catòa „comprare“ (kaufen), balòa „ballare“ (tanzen) usw.

Noch mehr Infinitivendungen

Die typische Infinitivendung des Piemontesischen ist „–é“. Caté, balé, etc. Das gilt auch für alle Dialekte des Monregalese, daher sind sie eben Piemontesisch und nicht Ligurisch. Die Dialekte in Richtung der Langhe haben Infinitivendungen mit offenem „–è“, catè, balè, kaum ein Unterschied. Die des Pesio-Tals hingegen enden auf „–à“: catà, balà. Die des Kyé auf –ò: catò, balò, ebenso wie im Dialekt Garessios, der aber schon ligurisch ist. Aber die fast ausgestorbenen Mikrodialekte zwischen dem Kyè und dem Dialekt Garessios können je nach Umstand auf „–é“, „–òj“ oder „–ò“ enden.

Jenseits von Ormea, beinahe im Roya-Tal

Wir sind noch nicht am Ende. Nachdem man dem Dialekt von Ormea aufmerksam gelauscht hat, geht es das Tanaro-Tal weiter hinauf. Dort stößt man auf noch eine Variante, das Brigasco, dieselbe Sprache, die man auch im französischen La Brigue und Umgebung spricht. Aha, das ist also Französisch? Von wegen! Dann also Okzitanisch? Auch nicht. Es handelt sich um das Roiasco, eine besondere Form des Ligurischen mit vielen okzitanischen Begriffen, aber mit typisch ligurischen phonetischen Phänomenen.

Am Ende des Tanaro-Tals – das inzwischen zum Negrone-Tal geworden ist – angekommen empfiehlt sich eine herrliche Wanderung durch die Ligurischen Alpen rund um den Marguareis, mit Abstieg ins Pesio-Tal, um gleich noch eine Runde zu drehen. Denn wer weiß, vielleicht ist euch ja eine Silbe entgangen…

Eine Reise nach Babel zu den lokalen Sprachen des Monregalese

Mehr Wissenswertes

  • Bertolino, Remigio (2012), La “scuola monregalese” di poesia, in Duberti, Nicola – Miola, Emanuele, a cura di (2012), Alpi del mare tra lingue e letterature. Pluralità storica e ricerca di unità, Edizioni Dell’Orso, Alessandria, pp. 3-15
  • Bertolino, Remigio – Duberti, Nicola (2006), Piccola antologia della poesia monregalese. Petite anthologie de la poésie de Mondovi, Ël Pèilo, Mondovì
  • Billò, Ernesto – Comino, Carlo – Duberti Nicola (2003), Paròle nòstre. Il dialetto ieri e oggi nei paesi del Monregalese, CEM, Mondovì
  • Cugno, Federica – Rivoira, Matteo – Ronco, Giovanni (2018), Piccolo  atlante linguistico del Piemonte. Vol. 1, Istituto dell’Atlante Linguistico Italiano, Torino
  • Duberti, Nicola (2011), Il dialetto alto-langarolo di Mombarcaro: per una prima definizione di una subarea dialettale di transizione, in Carena, Claudio, Mangia negia. Storie e parole di Mombarcaro, CEM, Mondovì, pp. 7-12: https://www.academia.edu/4151430/Il_dialetto_di_Mombarcaro
  • Duberti, Nicola (2014), I costrutti causativi in una varietà galloitalica pedemontana: il dialetto di Rocca de’ Baldi (Cuneo), Lincom Europa, München
  • Duberti, Nicola (2016), Appunti di piemontese, https://www.academia.edu/27623977/Appunti_di_piemontese_pdf
  • Duberti, Nicola (2017), L’Alta Val Tanaro: inquadramento linguistico, https://www.academia.edu/5755976/Alta_Val_Tanaro
  • Duberti, Nicola (2019), Gioco e ritmo in Carlo Regis. L’alchimia linguistica  e musicale di un poeta piemontese, in «Ricognizioni. Rivista di lingue letterature e culture moderne», II-2019, VI, pp. 35-42: https://www.ojs.unito.it/index.php/ricognizioni/issue/view/330
  • Duberti, Nicola – Miola, Emanuele, a cura di (2012), Alpi del mare tra lingue e letterature. Pluralità storica e ricerca di unità, Edizioni Dell’Orso, Alessandria
  • Duberti Nicola – Regis Riccardo (2014), Standardizzazione toponomastica in aree di confine: il caso di Roccaforte Mondovì, in Finco, Franco – Iannàccaro, Gabriele (a cura di), Nomi, luoghi, identità. Toponomastica e politiche linguistiche, Società Filologica Friulana, Udine, pp. 107-140: https://www.academia.edu/4019449/Standardizzazione_toponomastica_in_aree_di_confine
  • Miola, Emanuele (2013), Innovazione e conservazione in un dialetto di crocevia. Il kje di Prea, Franco Angeli, Milano
  • Regis, Riccardo (2006), Il monregalese tra le varietà pedemontane: alcuni spunti di riflessione, in Bertolino, Remigio – Duberti, Nicola (2006), Piccola antologia della poesia monregalese. Petite anthologie de la poésie de Mondovi, Ël Pèilo, Mondovì, pp. 11-25
  • Regis, Riccardo (2012), Centro/periferia, Torino/Mondovì in Duberti Nicola – Miola, Emanuele, (a cura di), Alpi del mare tra lingue e letterature. Pluralità storica e ricerca di unità, Edizioni Dell’Orso, Alessandria , pp. 85-106: https://www.academia.edu/4007477/Centro_periferia_Torino_Mondov%C3%AC
  • Regis, Riccardo (2018), Appunti linguistici su “Le poisìe dla cantaran-a” in Carlo Dardanello, Le poisìe dla cantaran-a, Primalpe, Cuneo, pp. 7-22: https://iris.unito.it/retrieve/handle/2318/1686941/467161/Regis_Appunti%20linguistici.pdf
  • Regis, Riccardo – Duberti, Nicola (2014), Tra Alta Langa e Alpi Monregalesi: percorsi, limiti e prospettive di varietà marginali, in Balbis, Giannino – Toso, Fiorenzo (a cura di), L’alta Val Bormida linguistica. Una terra di incontri e di confronti, CZ Edizioni, Genova, pp. 85-116: https://iris.unito.it/handle/2318/149655
  • Tesio, Giovanni – Bertolino, Remigio (1991), I poeti di Mondovì, Amici di Piazza – Edizioni “Ël Pèilo”, Mondovì
  • Tesio, Giovanni (1991), La periferia necessaria. Da Carlo Baretti a Remigio Bertolino, in Tesio, Giovanni – Bertolino, Remigio (1991), I poeti di Mondovì, Amici di Piazza – Edizioni “Ël Pèilo”, Mondovì, pp. 9-23
  • Tesio, Giovanni (2012), La periferia necessaria dei poeti monregalesi, in Duberti, Nicola – Miola, Emanuele, a cura di (2012), Alpi del mare tra lingue e letterature. Pluralità storica e ricerca di unità, Edizioni Dell’Orso, Alessandria, pp. 151-157
  • Toso, Fiorenzo (2012), L’area di contatto ligure-piemontese e la “zona grigia” delle vallate monregalesi, in Duberti, Nicola – Miola, Emanuele, a cura di (2012), Alpi del mare tra lingue e letterature. Pluralità storica e ricerca di unità, Edizioni Dell’Orso, Alessandria, pp. 159-172
  • Wikipedia, sub voce dialetto monregalese: https://it.wikipedia.org/wiki/Dialetto_monregalese
  • Wikipedia, sub voce kje: https://it.wikipedia.org/wiki/Kje Wikipedia, sub voce Monregalèis: https://pms.wikipedia.org/wiki/Monregal%C3%A8is
EINE REISE NACH BABEL ZU DEN LOKALEN SPRACHEN DES MONREGALESE

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